Sicher geht es einigen – wenn nicht vielen – wie mir: die tägliche Informationsflut durch elektronische und physische Post, Zeitungen und Zeitschriften, Webseiten und Feeds, Berichte und Entscheidungsvorlagen, Protokolle und Agenden kostet nicht nur Zeit. Sie beansprucht auch die grundsätzlich vorhandene Freude am Lesen in nicht gerade geringem Maße. In der Schule hat man noch mehr oder minder begeistert zahllose Bücher aus unterschiedlichen Epochen, Ländern und Stilrichtungen gelesen und sich so verschiedene Welten und Fragestellungen erschlossen.
Später dann, in Ausbildung und Studium, wurde das Lesen bestimmender Teil der Arbeit, aber eben auch deutlich eindimensionaler und zweckbezogener. Es ging vor allem um konkrete Wissensvermittlung. Im Beruf verkommt das Lesen sodann zunehmend zur schnöden Informationsvermittlung. Sprachlich oft arm, bisweilen phrasenhaft (dazu nächste Woche mehr), eben in der Regel als Kommunikationsform, die viel zu selten Anregungen gibt oder gar inspiriert, den Horizont erweitert oder nachdenklich stimmt.
Ich bewundere Menschen, die nach einem ausgefüllten Arbeitstag abends häufig die Gelegenheit, Muße und Kraft finden, intensiv zu lesen. Ich gestehe ein: mir gelingt das zu selten! Auch insofern ist eine Urlaubswoche etwas Gutes, schafft sie doch den Raum, nicht nur “runterzufahren” und die Zeit mit seiner Familie und Freunden zu genießen, sondern auch dafür, sich ein Buch vorzunehmen, an das man sich im Alltag nicht heranwagen würde.
In diesem Sinne habe ich mich über die Osterferien an “Die Pleite-Republik” von Rainer Hank “herangewagt”. Der Untertitel “Wie der Schuldenstaat uns entmündigt und wie wir uns befreien können” hat mich neugierig gemacht. Auf gut 400 Seiten zeigt der Chefredakteur der Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dass hoher ökonomischer Sachverstand in Kombination mit Lebenserfahrung und einem Studium in Literatur, Philosophie sowie katholischer Religion ein ausgezeichnetes Fundament für ein mehr als anregendes Buch ist.
Womit genau befasst sich Rainer Hank in diesem Buch? Das Inhaltsverzeichnis lässt erahnen, worum es unter den bedeutenden Überschriften Liberalismus und Freiheit geht:
Staatendämmerung – Eine Einleitung
1 Tyrannei der Fürsorge – wo bitte geht’s zur Freiheit?
2 Die Paternalistische Verführung – wo bitte geht’s zum Glück?
3 Die Sozialstaatliche Verführung – wo bitte geht’s zur Wohlfahrt?
4 Die Verführung der Schuldenstaaten – wo bitte geht’s zur Hölle?
5 Jenseits der falschen Verführer – wo bitte geht’s zur Mündigkeit?
Hier wird auf einen Blick klar: es werden zahlreiche unbequeme Fragen angesprochen. Mehr als nur das, gespickt mit zahllosen fundierten Querverweisen auf die Erkenntnisse mehrerer Jahrhunderte Literatur und Forschung, vor allem in Ökonomie, Staatslehre und Politikwissenschaften, wird mit zahllose Vorurteilen und unfundierten Aussagen aufgeräumt.
Natürlich provoziert ein solches Buch. Doch das ist nicht negativ, sondern positiv, da anregend. Sicher werden nur wenige allen Aussagen inhaltlich folgen, manches regt klar zum Widerspruch an. Aber vielen wird es beim Lesen wie mir gehen – Hank bringt den Leser zum Nachdenken und fördert die eigene Meinungsbildung (oder – falls vorhandenen – die Überprüfung der eigenen Meinung). Bricht Europa wirklich zusammen, wenn der Euro in seiner jetzigen Form nicht fortbesteht? Wer sollte gegebenenfalls wann den Weg zu einer eigenen Währung suchen – Griechenland oder Deutschland, die schwachen oder die starken Euro-Staaten – oder keiner? Wo liegt die Grenze zwischen der Freiheit des Einzelnen und der nicht nur moralisch gebotenen Wahrung der Interessen Schwächerer? Ist es – im Großen und im Kleinen – immer richtig, füreinander einzustehen? Warum verbietet das Europäische Recht die Haftungsübernahme und wie ist es zu bewerten, dass dies faktisch ausgehebelt wurde? Wo führt es hin, wenn der Staat seine Leistungen gegenüber den Bürgern immer mehr ausweitet und zur Finanzierung nicht nur Steuern erhebt (und anhebt), sondern sich – und damit seine Bürger, vor allem kommender Generationen – hemmungslos verschuldet? Wie ist die Gesamtbilanz von Steuern und gewährten Staatsleistungen, wer profitiert – findet eine Umverteilung statt und wenn ja, in welche Richtung? Wie ist das Ergebnis der Staatsleistungen, was ist besser und effizienter: Wettbewerbsleistungen oder staatliche Leistungen?
Rainer Hank stellt nicht nur Fragen, er zeigt Zusammenhänge und Abhängigkeiten auf, bezieht klar Stellung und gibt damit auch Antworten – oft historisch hergeleitet und pragmatisch sowie konkret, manchmal visionär, aber immer ehrlich und sicher nicht aus der Luft gegriffen.
Also, in Summe eine klare Leseempfehlung für Stunden, in denen man den Kopf frei hat, um nicht nur “Zeilen zu fressen” und Informationen aufzunehmen, sondern sich über Anregungen zum Nachdenken und zur Diskussion mit Freunden und Familie freut.
Rainer Hank, Die Pleite-Republik, Blessing Verlag 2012, Gebundenes Buch ISBN 978-3-89667-421-0, eBook ISBN 978-3-641-08241-3,
http://www.randomhouse.de/Autor/Rainer_Hank/p34072.rhd?pub=10000
P.S. Mit dieser Kurzrezension eröffne ich die neue Blog-Rubrik “Auch lesenswert”, in der zukünftig Buchempfehlungen zu finden sein werden.