Die Corona Pandemie hat Deutschland, Europa und die Welt in einer zweiten Welle wieder fest im Griff. Als Konsens aller Vernünftigen steht fest, dass umfangreiche Maßnahmen erforderlich sind, um das höchste Gut, Gesundheit und Leben, zu schützen. Dem gegenüber, und auch da sind sich alle Vernünftigen einig, steht die Wirtschaft zurück. Allerdings nur, soweit es wirklich sein muss.
In der ersten Lockdown-Welle lagen kaum Erfahrungen vor. Die Situation kam (sträflicher Weise) auch für die Politik unvorbereitet und aufgrund der Gesamtumstände war es zwar ärgerlich, aber auch entschuldbar, dass unnötige Beschränkungen auferlegt und Fehler gemacht wurden. Monate später haben wir viel gelernt, hatten mehr Zeit zur Vorbereitung und zum Nachdenken. Dementsprechend ist es nicht mehr entschuldbar, wenn operative Hektik und panischer Aktionismus an die Stelle rationalen Handelns treten.
Jüngstes Beispiel dafür, wie man durch sinnlose Regeln die Wirtschaft schädigt, ist die, aktuellen Presseberichten zufolge, mögliche weitere Begrenzung von Kunden im Einzelhandel. Von bisher einem Kunden pro 10qm Verkaufsfläche soll in einer Hauruck-Aktion nun auf 25qm Verkaufsfläche je Kunde verschärft werden. Kurzum: Damit wäre nicht mal mehr die Hälfte der Kunden pro Laden erlaubt.
Bereits im Föderalismus-Chaos des ersten Lockdown gab es auf Länderebene diverse unterschiedliche Flächengrenzen, ohne dass sich in der Praxis unterschiedliche Auswirkungen gezeigt hätten (außer großer Unsicherheit auf Kundenseite und massivem Aufwand für die Händler). Übrigens: Die Bundesländer mit der strengsten Begrenzung hatten keineswegs eine bessere Entwicklung in Sachen Corona als andere.
Ob mit oder sogar ohne Kundenbeschränkung pro Quadratmeter: Es gibt keine Studie – und nicht einmal eine ernsthafte Tatsachenerkenntnis – aus der sich ableiten ließe, dass der Einzelhandel per se eine relevante Plattform für die Verbreitung des Virus’ ist. In den rund 900 Apollo Geschäften in Deutschland hat sich seit Ausbruch der Corona – Pandemie noch kein einziger Mitarbeiter bei einem Kunden angesteckt oder umgekehrt.
Die Begrenzung ist überdies komplett willkürlich und steht in keinem Verhältnis zu den sonstigen Regelungen. Oder soll demnächst in allen Linienbussen passend zur Grundfläche auch nur noch jeweils ein Fahrgast befördert werden und in jedem Klassenzimmer nur noch zwei Schüler sitzen? Geradezu absurd.
Alle seriösen Einzelhändler halten sich an die gesetzlich geforderten Schutzmaßnahmen; viele haben – wie Apollo – deutlich darüber hinausgehende Maßnahmen ergriffen. Zum Schutz ihrer Kunden und Mitarbeiter, aber auch aus Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und insbesondere gegenüber den Schwächeren. Auch deswegen fühlen sich beispielsweise nach einer Studie deutlich mehr als 90% der Kunden bei ihrem Optiker auch in Corona-Zeiten sicher – zu Recht.
Bereits jetzt stellen alle Einzelhändler in der zweiten Welle einen weiteren deutlichen Rückgang von Kundenzahlen und Umsatz fest – und das im für viele entscheidenden Weihnachtsgeschäft. Die diskutierte Verschärfung auf 25qm wäre eine sinnlose Schädigung des Einzelhandels, die insbesondere für viele kleinere Händler der berühmte Tropfen sein könnte, der das Fass zum Überlaufen bringt und die Existenz vernichtet – und das ohne Nutzen bei der Bekämpfung der Verbreitung des Virus.
Die Entscheidungsträger in der Politik wären gut beraten, nicht nur in Sonn- und Feiertagsreden über den Schutz des Einzelhandels und die Belebung der Innenstädte zu sprechen, sondern dann, wenn es darauf ankommt, Entscheidungen zu treffen, die dem Rechnung tragen. Man muss morgen weniger über staatliche Hilfen für den Einzelhandel reden, wenn man es heute vermeidet, ihn ohne jeden Grund zu schädigen.
Sehr geehrter Herr Dr.Ehmer.
Sie sprechen mir aus der Seele. Wir unterstützen auch die Verhinderung der Ausbreitung, aber sie muss im Verhältnis zum Schaden stehen und belegbar durch Tatsachen sein.
Ich bedanke mich für Ihren Beitrag.
Ein brillanter Kommentar, der es auf den Punkt bringt. Politischer Aktionismus geleitet von nicht faktenbasierter Willkür. Hauptsache „irgendwie“ Kontakte reduzieren. So geht es nicht!
Sehr geehrter Herr Dr. Ehmer,
in Teilen muss ich Ihnen zustimmen, denn als Bahnpendlerin erlebe ich das Gedränge in öffentlichen Verkehrsmitteln jeden Tag.
Zu Beginn der Pandemie haben wir aus “allen Rohren gefeuert“, sprich die Gesellschaft extrem heruntergefahren, Geschäfte, Restaurants, Kinos etc geschlossen und damit die Welle gebrochen. Jetzt agiert unsere Regierung stufenweise, man könnte fast sogar sagen vorsichtig, schliesst also zuerst wieder Kunst- und Kultureinrichtungen, die Gastronomie, Sportstätten etc.
Da dies nur genügt hat um die Welle stagnieren, jedoch nicht deutlich abflachen, oder gar brechen zu lassen, wäre der nächste logische Schritt der Handel und das Handwerk.
Genauso wie am Anfang der Pandemie hierzulande.
Sie schreiben des weiteren, dass sich bis jetzt kein Kunde bei einem Mitarbeiter und kein Mitarbeiter bei einem Kunden in Ihren Geschäften infiziert hat, aber wie sieht es denn mit den Mitarbeitern untereinander aus? Und wer kann in dieser seit einigen Wochen so dynamischen Pandemiephase noch sagen, wer sich genau bei wem angesteckt hat?
Natürlich kann es niemandes Wunsch sein unserer Wirtschaft mehr Schaden zuzufügen, aber wie genau lautet denn Ihr Gegenvorschlag? Denn, ohne Ihnen persönlich zu nahe treten zu wollen, etwas kritisieren kann beinahe jeder, aber konstruktive Gegenvorschläge zu unterbreiten, ist gerade in dieser Situation ein Zeichen wahrer Besorgnis um den Einzelhandel.
Sie haben Recht, Frau Reifling, das Thema ist alles andere als einfach und wer kritisiert, der sollte auch sagen, wie es besser geht. Offensichtlich habe ich dies in meinem kurzen Beitrag nicht deutlich genug gemacht, führe es aber gerne aus.
Wichtig ist mir vorab zunächst noch einmal die Bestärkung, dass ich auch aktuell mit den meisten Maßnahmen einverstanden bin. Ich habe an anderer Stelle ausgeführt, dass wir in Deutschland in der ersten Phase sehr viel richtig gemacht haben. Das gilt in weiten Bereichen unverändert. Gleichzeitig wäre es gut im Sinne des von Ihnen angemahnten Vorschlags, wenn wir das machen, von dem wir wissen oder sehr gute Gründe zur Annahme haben, dass es hilft. Das bedeutet aber gleichzeitig auch einen gewissen Rechtfertigungszwang: Beschränkende Maßnahmen sind nur statthaft, wenn sie geeignet sind, ein konkretes Problem als mildest möglicher Eingriff zu lösen. Darin steckt auch, dass sie überhaupt geeignet sein müssen, eine relevante Veränderung herbeizuführen. Alles andere ist unverhältnismäßig.
Genau hier setzt meine Kritik an.
Wenn niemand ernsthaft behauptet, dass Einzelhändler ein Begegnungspunkt sind, der nennenswert oder stärker als andere zur Infektionsverbreitung beiträgt, dann sind besondere zusätzliche Maßnahmen auch nicht wirklich zielführend; in jedem Fall weniger zielführend, als andere Maßnahmen an anderer Stelle. Genau darum sollte es aber gehen: Mit möglichst wenig einschneidenden Maßnahmen das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Man kann den Einzelhandel nicht mit Spuckschutz und Flächenvorgaben ausstatten (was richtig ist), zahlreiche weitere Vorgaben machen, aber gleichzeitig an anderen Stellen so viele Menschen zulassen, dass der Mindestabstand nicht gewahrt werden kann.
Für die Entscheidungsfindung sollten wir auf gemachte Erfahrungen zurückgreifen. Im ersten Lockdown haben wir gelernt, dass sowohl landesunterschiedliche Zugangsbeschränkungen für Großflächenmärkte keinen Unterschied in der Pandemieausbreitung machen, noch die unterschiedlichen Flächenvorgaben für kleinflächigeren Einzelhandel. Wenn man das gelernt hat, dann erstaunt es schon, wenn es unvermittelt wider besseren Wissens erneut vorgeschlagen wird.
Nach allem was wir wissen finden Infektionen vor allem im privaten Umfeld statt. Das hat sich in den letzten Wochen, soweit man es nachvollziehen kann, auch nicht verändert. Auch meine Beobachtung in unserem Unternehmen deckt sich damit. Täglich melden sich mehrere Mitarbeiter mit Corona-Verdacht. Ebenso wie die, die sich tatsächlich infiziert haben, liegt die Ursache, soweit sie nachvollziehbar ist, fast ausschließlich im privaten Umfeld. Hier eine kleine Feier, dort ein Abend mit Freunden, da ein Kaffeetrinken im Familienkreis…
Dementsprechend muss man dort mit schärferen Maßnahmen ansetzen, wo das Problem liegt. Das sind im privaten Bereich die persönlichen Begegnungen (und es würde mich nicht wundern, wenn es beispielsweise auch öffentliche Verkehrsmittel wären – aber damit bin ich dünnem Eis und spekuliere). Ob die in diesen Bereichen heute beschlossenen Maßnahmen, wie die Kontaktreduzierung, reichen werden, um das dort erhöhte Risiko angemessen zu reduzieren, wird man sehen müssen.
Wie sieht es im Einzelhandel aus? Nur an wenigen öffentlich zugänglichen Stellen sind die Hygienekonzepte ausgeprägter und werden disziplinierter eingehalten – und ganz an der Spitze sind übrigens Optiker. Das oberste Gebot ist Abstand halten. Und Abstand halten kann man auch mit einer Person auf 10qm, wie die Ergebnisse zeigen. Mund-Nase-Bedeckung tragen ist nach der Meinung der meisten Spezialisten wichtig, ebenso Hygienekonzepte mit Hände waschen, Begegnung auf engem Raum vermeiden, Oberflächen desinfizieren und all das, was seriöse Einzelhändler machen. Wenn all dies so wirkt, dass Einzelhändler kaum Verbreitungsstellen für das Virus sind, dann bedarf es auch keiner weitergehenden Maßnahmen. Sinnvoller ist es vermutlich, ähnlich stringente Maßnahmen auch an anderen Stellen durchzusetzen, an denen sich Menschen begegnen – auch das ist (aus meiner Sicht richtiger Weise) heute beschlossen worden.
Es ist die Aufgabe der Politiker und der sie beratenden Spezialisten, die risikoreichsten Bereiche zu identifizieren und die passenden Maßnahmen zu definieren. Diese sind dann im Sinne der Allgemeinheit auch zu akzeptieren und umzusetzen. Und genau das ist auch mein Vorschlag: Maßnahmen, die nach begründeter Ansicht der Spezialisten etwas bringen, schnell entscheiden und entschlossen umsetzen. Und gleichzeitig ersatzlos das lassen, von dem sich noch nicht einmal jemand die Mühe macht, zu erklären, aufgrund welcher Faktenerkenntnis es eine Verbesserung bringen soll.
Lieber Jörg
Leider ist der Einzelhandel nur ein Beispiel für die völlig verfehlte Corona-Politik unserer Regierung. In Kirchen wird weiter fröhlich ohne Kontrolle gesungen, während man in Bayern nicht mal ein Tenniseinzel oder eine Runde Golf spielen darf. In BW ist Sport übrigens erlaubt.
Wer in den letzten Monaten die Hotspots verfolgte, las auch beim RKI Pflegestationen, Kirchen, Hochzeiten, Asylantenheime, Reiserückkehrer aus dem Osten und Bars. Wie man in Schwabach sieht, mehr als die Hälfte der aktuell Infizierten in einem einzigen Altersheim. Haben Söder und Co. nichts gelernt?
Keine FFP2 Masken, keine Schnelltests, keine Hygiene, kein Konzept.
Auch die Reiserichtlinien sind einfach nur verrückt. Wer Verwandte besucht, ist auch aus der Türkei, Österreich oder dem Kosovo von Quarantäne befreit. Folgerichtig wirbt Eurowings, besuchen Sie doch Ihre Lieben in Pristina, Erbil oder Libanon. Feiern Sie mal wieder richtig Geburtstage, Hochzeiten, Silvester.
Der Urlauber in seiner Ferienwohnung in Austria geht mangels Verwandter 10 Tage in den Hausknast.
Verstehen muss man diese Kardinalfehler der Regierenden nicht, aber Handel, Gastronomie, Bürger etc. werden schuldlos dafür weiter in Haftung genommen. Gezahlt werden die Hilfen entgegen anderslautenden Aussagen nicht vom großzügigen Staat, sondern von den Steuerzahlern. Das wird oft vergessen. Wird aber für uns schmerzhaft.
Lieber Rolf, zur Ehrrettung muß man sagen, dass den Maßnahmen gewiss das ernsthafte Bestreben zugrundeliegt, den dringend gebotenen Gesundheitsschutz zu gewähren. Für mich ist es durchaus eine andere „Qualität“, ob man durch fragwürdige oder vielleicht sogar falsche Ausnahmen eine sinnvolle Maßnahmen nicht durchgehend in allen Fällen anwendet – oder sinnlose Maßnahmen für einzelne Bereiche trifft. Die qm-Begrenzungen, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung meines Beitrages diskutiert und leider nachfolgend teilweise eingeführt wurde , gehören zur zweiten Gruppe. Das Nichtanordnen der Quarantäne für einen Teil der Reisenden gehört zur ersten Gruppe.
Und, ja, in Schwabach ist die Situation in einem Heim leider sehr kritisch – obwohl die Verantwortlichen extrem engagiert und sorgfältig waren. Es ist eben die schwere Abwägung zwischen Schutz und Besuchsrecht, eine 100%ige Sicherheit gibt es leider ohnehin nicht.
In der Sache sind wir uns einig: der Schutz sollte möglichst weitgehend sein, daher sollten Ausnahmen kritisch (noch kritischer) überdacht werden.