Anthropologen und Philosophen streiten bisweilen über die Frage, ob der Mensch (noch) ein Herdentier ist. Jeder, der regelmäßig fliegt, kann diese Frage zumindest für das männliche Geschlecht eindeutig beantworten: eine seltsame Mischung aus beidem, aber allzuoft mit schwindendem Sozialverhalten und Alltagsanstand!
Es beginnt spätestens beim Boarding. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, mit welcher Selbstverständlichkeit manch einer “auf den letzten Drücker” im Menschenpulk vor dem Gate ankommt, um dann seitlich an der Schlange vorbei zur Pole-Position zu schreiten? Das folgende kollektive Gedränge ist im negativen Sinne bemerkenswert. Und das, obwohl die Sitzplätze ja bekanntlich nummeriert sind. Es wird nur getoppt von dem Schauspiel, wenn der Bus an einer Vorfeldposition anhält. Kaum öffnen sich die Bustüren, spielt sich etwas ab, das an einen Western erinnert, in dem eine Viehherde durchs enge Gatter getrieben wird. Wohlgemerkt: ich rede nicht von Ryanair und Charterfliegern, ich rede von Lufthansa und Businessfliegern, von jungdynamischen Beratern, Top-Managern und durchschnittlichen Abteilungsleitern.
Im Flugzeug mutieren dann selbst viele bis dahin eher Unauffällige zum ausgeprägten Einzelgänger. Egal was schon im Gepäckfach liegt, das eigene (Über-)Gepäck wird reingequetscht – und ist auch kein Platz mehr, Gewalt hilft immer. Nun wird der Platz eingenommen. Wer kennt das nicht, die Armlehne wird selbstbewusst komplett mit dem spitzen Ellenbogen belegt und die Zeitung ausgebreitet. Natürlich vorzugsweise vom Gangplatz, selber Schuld, wer nur noch den Mittelplatz in der Holzklasse abbekommen hat. Nach dem Start, im Idealfall direkt nachdem der Tomatensaft serviert wurde, wird sodann die Sitzlehne ohne Rücksicht auf Verluste zurückgeknallt. Die alledem zugrundeliegende Botschaft lautet: ich bin hier das Alphatier und das ist mein Revier!
Kaum ist der Flieger gelandet, springt die Meute auf, obwohl alle wissen, dass die Tür noch geschlossen ist und der Platz im Gang nicht für alle reicht. Wer nicht mitmacht, wird von denen, die daneben sitzen, und gerne raus auf den Gang wollen, böse angeschaut: Spielverderber! Vorsicht, in dieser Situation kommt nicht alles Gute von oben. Es ist vielmehr das Gepäck, das einem auf den Kopf fällt, weil jemand unbedacht das Gepäckfach öffnet und rücksichtslos sein eigenes Gepäck rausreißt. Sodann folgt der stumpfe Herdentrieb in umgekehrter Richtung: Raus aus dem Flieger.
Kommen wir zur Nachspielzeit bei mehrtägigen Reisen: das Gepäckband. Wie einfach wäre es, wenn alle zwei bis drei Meter Abstand vom Band hielten und nur diejenigen nach vorne träten, deren Koffer gerade vorbeikommt? Statt dessen drängeln sich alle an der Kante am Anfang des Gepäckbandes und beugen sich nach vorne über, um am Vordermann vorbeizusehen. Wer jetzt noch direkt hinter sich einen Gepäckwagen platziert, um beim Herunterheben des Koffers auch sicher zu stolpern, der bewegt sich im mittleren Normbereich.
Vielflieger werden mir bei alledem zustimmen. Manches passiert nicht immer, anderes hingegen durchgehend mit der sprichwörtlichen Zuverlässigkeit der berühmten Schweizer Uhr. Feine Beobachter werden sogar bemerken, dass all dies in der Mitte der Woche besonders intensiv zutrifft. Hier tobt ja auch noch der harte tägliche Überlebenskampf des Berufsalltages. Am Freitag Abend geht es hingegen oft entspannter zu. So langsam wechseln viele in den Modus “liebevoller Familienvater” und gönnen sich auf dem Rückflug ein Bierchen. Der Mensch ist schon ein sonderbares Tier. Also, wenn Sie das nächste Mal fliegen: Achten Sie auf Ihre Mitreisenden – und vielleicht sogar ein kleines Bißchen auf sich selbst?!
Lieber Jörg,
Du sprichst mir aus der Seele. Ich habe mir schon den Kopf darüber zermürbt wie man es schaffen kann diese unglaubliche
Hektik beim Einsteigen und Aussteigen zu verhindern.
Warum läßt man nicht erst die Fensterplätze einsteigen, das
Boarding nach Gruppen klappt ohnehin nicht.
Das Benehmen vieler am Gepäckband ist interessant. Ja der Mensch ist ein Herdentier ideal zu beobachten wenn Du Billigflieger nimmst.Für uns im Geschäftsleben jedenfalls
lästig.
Lieber Jörg,
auch ich als Vielflieger amüsiere mich ständig über genau die Szenen die Du beschrieben hast. Dieser unachtsame Egoismus ist tatsächlich kaum zu toppen. Wenn man dann diese Primaten höflich anspricht, erhält man darauf eine patzige nicht freundliche Antwort … Aus diesem Grund wähle ich IMMER ein Fensterplatz und warte bis alle raus sind und ich in Ruhe aussteigen kann.
In dem Sinne
Guten Flug