Ein Buch mit dem Titel „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ scheint angesichts der aktuellen politischen Entwicklung nicht überraschend zu sein. Aber was ist, wenn es die Verschriftlichung eines Vortrages ist, der vor 57 Jahren gehalten wurde? Im Berliner KulturKaufhaus Dussmann bin ich unlängst über das kleine Taschenbuch gestolpert: Theodor W. Adorno, Aspekte des neuen Rechtsradikalismus.
Adorno war als Philosoph und Soziologe in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wesentlicher Protagonist der „Frankfurter Schule“ und gewiss ein kritischer Geist. Und natürlich hat er sich auch mit dem Thema Rechtsradikalität auseinandergesetzt. Aber wenn der Suhrkamp Verlag einen seiner Vorträge nach über 50 Jahren neu auflegt und publiziert, dann macht das neugierig – mich zumindest. Was hatte Adorno zu sagen, dass das Suhrkamp-Team motiviert hat, es 2019 zu verlegen? Und was ist so interessant daran, dass es in diesem Jahr in der siebten Auflage fortgeführt wird?
Als ich den Text der Rede las, war ich gleichermaßen überrascht wie erschrocken. Über weite Passagen könnte man meinen, das Buch sei ganz aktuell geschrieben worden und es beschreibe die derzeitige politische Situation, nicht die der 60er Jahre. Vieles von dem, was Adorno scharfsinnig in Bezug auf die unbelehrbaren Altnazis und die Aktivitäten der damaligen NPD beschreibt, liest sich wie eine Blaupause für das heutige Handeln und „Argumentieren“ der AfD und ihrer parteiinternen Scharfmacher und Hetzer.
Adorno ordnet historisch ein, liefert mit seinem Erklärungsmodell Ansätze zur Beantwortung der Frage nach dem „Warum“ und unterbreitet auch konkrete Vorschläge zum Umgang mit dem neuen Rechtsradikalismus seiner Zeit. Besonders spannend ist, wie er populistische Narrative erkennbar macht, sie entlarvt und Wege aufzeigt, diesen zu begegnen. All dies hat (leider) nichts an Aktualität verloren. Es sind zum Teil die gleichen Narrative und es folgt dem gleichen Drehbuch wie vor 60 Jahren. Und damit ist die Rede Adornos auch heute noch ein wertvoller Impuls.
Für mich bringt es der Verlag im Klappentext sehr treffend auf den Punkt: „…Und so liest sich „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ wie eine Flaschenpost an die Zukunft…“.
Habe ich Sie neugierig auf diese Flaschenpost gemacht? Dann sind die zehn Euro, die das Büchlein kostet, gut angelegt. Und wenn Sie schon einmal dabei sind, dann empfehle ich, aus der gleichen Reihe die Rede „Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute“ zu kaufen – und natürlich zu lesen. Angesichts des damaligen Auditoriums (eine Pädagogen-Konferenz) setzt sich Adorno intensiv damit auseinander, wie man im Bildungsumfeld Antisemitismus erkennen und ihm entgegenwirken kann. Auch diese Rede ist nach gut 60 Jahre leider angesichts der Situation heute in Teilen mindestens ebenso aktuell wie seinerzeit.
Beide Bücher empfehle ich gerne zur Lektüre und zum Nachdenken. Danke an den Suhrkamp-Verlag für die Veröffentlichung und an das Team des KulturKaufhauses Dussmann für die sichtbare Platzierung.
Theodor W. Adorno, Aspekte des neuen Rechtsradikalismus, Suhrkamp Verlag, ISBN 978-3-518-58737-9
Theodor W. Adorno, Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute, Suhrkamp Verlag, ISBN 978-3-518-58823-9