Bereits 2017 hatte ich mich in einem Blogbeitrag damit befasst, wie spannend es ist, dass Google sein eigenes Kern-Ertragsmodell der Suchmaschine durch ein Sprachassistenzsystem zunehmend selbst kannibalisiert (https://www.ehmers-blog.de/2017/google-digitaler-gatekeeper-fuer-alle-ewigkeit/). Schon seinerzeit war klar, dass es hier wohl weniger um proaktives Handeln geht, als vielmehr darum, Amazons Alexa etwas entgegenzusetzen.
Zwei Jahre später sieht es so aus, als würde sich Amazon mit dem Sprachassistenzsystem Echo und dem “Gehirn” Alexa durchsetzen. Und das hat, wenn es denn so kommt, eine Reihe bemerkenswerter Konsequenzen.
Bereits jetzt ist Amazon in vielen Bereichen die wahre Suchmaschine für Produkte – trotz aller Stärke von Google. Heute hat jeder Anbieter, der es möchte, die Möglichkeit, seine Leistungen und Produkte auf diesen beiden wesentlichen Plattformen zu positionieren:
– Bei Google über bezahlte Anzeigen und Gebote auf Keywords einerseits, aber andererseits eben auch durch eine professionelle Webseite, die auf höchstem Niveau suchmaschinenoptimiert ist;
– bei Amazon kann ein Anbieter sich auf dem Amazon Marketplace positionieren, aber natürlich im Wettbewerb zu Amazon-eigenen Angeboten.
Bedeutung nimmt rasant zu
All dies ändert sich mit der zunehmenden Bedeutung von Sprachassistenten für einige Produktbereiche, nämlich insbesondere bei einfachen Commodity-Produkten, dramatisch:
„Voice“ gewinnt als Vertriebskanal in diesen Bereichen kontinuierlich an Bedeutung. Setzt sich Alexa durch, dann wird zumindest bei einfachen Produkten die Bedeutung von Google im Shopping Bereich weiter massiv abnehmen. Damit ist den Händlern die Möglichkeit genommen, durch eine gute Webseite die Aufmerksamkeit der Kunden auch ohne weitere Bezahlung auf sich zu ziehen. Auch Pay Per Click bei Google wird bei dieser Entwicklung an Bedeutung verlieren: Wer die Bestellung spricht, der „googelt“ nicht mehr – er nutzt ein Sprachassistenzsystem. Abhängig von der Alexa-Marktdurchdringung fokussiert sich der Onlinehandel damit in einigen Produktbereichen noch mehr auf Amazon.
Nicht nur für Pure Player relevant
Diese Entwicklung betrifft zwar vorrangig den reinen oder überwiegenden Online-Handel (im Sinne von Pure Play), aber auch Multi- oder Omnikanalanbieter können so auf der digitalen Seite des Geschäftsmodells unter Druck kommen – mit Auswirkungen auf ihr gesamtes Geschäftsmodell. Die Omnikanalanbieter haben wenigstens die Chance, Alternativen außerhalb der reinen Online-Welt ihr Geschäftsmodell zu entwickeln und zu stärken. Für Pure Player im Commodity-Bereich wird es bei dieser Entwicklung schon deutlich schwerer werden. Und auch für die Hersteller der Produkte wird dies nicht bedeutungslos bleiben.
Selbst das ist jedoch nur „die eine Hälfte der Geschichte“. Denn mit zunehmender Durchdringung von Alexa wird sich zumindest im Bereich der Commodity auch der Handlungsspielraum der Anbieter bei Amazon selbst dramatisch verringern:
Sagt der Nutzer „seiner Alexa“, dass er ein bestimmtes Produkt bestellen möchte, so fragt Alexa nicht nach „möchtest Du es direkt von Amazon oder auf dem Marktplatz kaufen? Und falls nicht direkt von Amazon, von welchem der zehn top bewerteten Anbietern möchtest Du es kaufen?“ Für komplexere Produkte wie eine optische Brille ist das derzeit irrelevant, aber für den einfachen Nachkauf einer LED-Leuchte oder neuer Batterien für die Fernbedienung nicht. Ein Sprachassistenzsystem macht es dem Kunden einfacher, nimmt aber damit auch die Auswahl und konzentriert den Absatz auf den von Amazon ausgewählten Händler. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, wer dieser Händler am Ende sein wird, wenn es kein Regulativ gibt. In wirtschaftlich attraktiven Segmenten wird bei dieser Entwicklung der Marktplatz – vornehm ausgedrückt – stark unter Druck kommen; man könnte auch sagen zurückgedrängt.
Zusammen mit dem Wissen, das Amazon über die Kunden hat (bis hin zur Zahlungszuverlässigkeit), bietet diese Konzentration enorme Steuerungsmöglichkeiten. In Verbindung mit der hohen Kompetenz von Amazon im Bereich KI, den extrem leistungsfähigen Rechenzentren und der enormen Finanzkraft, ergibt sich ein für den Wettbewerb und die Vielfalt besorgniserregendes Gesamtbild.
Wachsamkeit ist erforderlich
Auch wenn dies nur eines der möglichen Szenarien ist: Die Konsequenzen sind so gravierend, dass hier der Gesetzgeber und die Wettbewerbsbehörden aufgefordert sind, die Entwicklung sehr, sehr genau zu beobachten. Das gilt gleichermaßen auf europäischer, wie auf nationaler Ebene. Wir dürfen es nicht zulassen, dass die Vielfalt des Handels durch technologische Quasi-Monopole beseitigt wird und an ihre Stelle ein System für Niedriglohn-Arbeitskräfte tritt, bei dem der größte Teil der Erträge dem Gemeinwesen durch ausgefeilte Steuermodelle entzogen wird. Durch geeignete gesetzgeberische und regulatorische Maßnahmen ist zur richtigen Zeit – und die ist eher früher als später – sicherzustellen, dass der freie und faire Wettbewerb auch bei marktstarken oder marktbeherrschenden Sprachassistenzsystemen gewährleistet wird.