Diversität auf Top-Ebene ist ein heißes Eisen. Fasst man es an, kann man sich leicht die Finger verbrennen. Trotzdem wage ich den Versuch. Weil es wichtig ist – mir persönlich, aber nach meiner festen Überzeugung auch für die erfolgreiche Unternehmensführung.
Keiner bestreitet ernsthaft, dass Diversität eine Gruppe nachhaltig erfolgreicher und das System resilienter macht. Hierzu gibt es unzählige Studien, nicht umsonst überschreibt Mc Kinsey eine viel beachtete Studie mit „Delivering through Diversity“. Und trotzdem ist das Top-Management vieler, insbesondere traditioneller und größerer Unternehmen, allzu oft eine Monokultur in jeglicher Hinsicht – insbesondere in Alter, Herkunft, und Geschlecht, um nur drei Dimensionen zu nennen. Ich muss es nicht beschreiben: Die meisten werden jetzt ein Bild vor Augen haben. Und dieses Bild ist leider zumindest in Deutschland und vielen Ländern Europas noch immer in zu vielen Unternehmen Realität und kein längst überkommenes Klischee.
Das beliebteste Argument gegen Vielfalt ist die Behauptung, dass nur innerhalb dieser Monokultur die Qualität zu finden ist, die man für diese Aufgabe benötigt. Das ist ebenso zutreffend wie zugleich eine fundamentale Fehleinschätzung. Möchte man in der Monokultur bleiben, dann trifft es natürlich zu: Nur wer gleich ist, Hintergrund, Herkunft, Sozialisierung und Erfahrung teilt, gibt auch die Gewissheit, insbesondere in kritischen Situationen und Veränderungsprozessen das Wohlbefinden nicht zu stören. Im Gewohnten findet der Mensch Kontinuität und Halt – aber nicht unbedingt den Impuls für erforderliche Veränderungen. Reibung wird man in derlei Konstellationen vergeblich suchen, Harmonie dagegen zu Hauf finden. Wer es gemütlich mag, der baut auf Monokultur.
Wer dagegen daran glaubt, dass es gut ist, kontrovers zu diskutieren, über den Tellerrand des eigenen Horizonts gezwungen zu werden und offen für Veränderungen zu sein, der versteht, dass es gerade nicht darum geht, jemanden für sein Team zu finden, der genau so ist, wie man selbst. Jemanden, der in den gleichen Mustern denkt und von den gleichen Erfahrungen geprägt ist. Wer von dieser Grundeinstellung getrieben ist, der sucht nicht „more of the same“ und verwechselt nicht „gleich“ oder zumindest „sehr ähnlich“ mit „geforderter Qualität“. Und da öffnet sich der Kreis dafür, „anders“ als „gewollt“ und “gesucht“ anzuerkennen und nicht als vom gesuchten Profil abweichend einzustufen und damit auszuschließen.
Werden wir konkreter, und zwar am Beispiel der einfachsten und naheliegendsten Dimension der Diversität – der der Geschlechter. Um es zuzuspitzen: Besteht das Top-Führungsgremium nur aus einem Geschlecht oder wie sind die Geschlechter verteilt?
Ein beliebtes Argument für reine Männer-Clubs lautet „Ich würde ja gerne, finde aber keine ausreichend qualifizierte Frau“. Mit Verlaub, liebe „Geschlechtsgenossen“: Das ist eine peinliche Aussage.
Sicher ist es so, dass sich nicht in jedem Einzelfall eine Frau aufdrängt, die bei offenem Blick als Best-Qualifizierte für eine Aufgabe parat steht. Aber darum geht es auch nicht. Es geht ja nicht darum, reine Männer Clubs in reine Frauen Clubs zu verwandeln.
Es geht zunächst einmal bei jeder Stellenbesetzung darum, die oder den Besten auszuwählen. Aber für die Frage, wer die oder der Beste ist, sind viele Dimensionen entscheidend. Beachtet man sie alle, dann ist es sicher nicht so, dass die Mehrzahl der großen Unternehmen auf Top-Führungsebene nur Männer einsetzen könnten, weil keine geeigneten Frauen da wären:
Mädchen sind nicht erst seit gestern in der Schule oft leistungsbereiter und machen statistisch gesehen bessere Schulabschlüsse als Jungs. In vielen Studienfächern setzt sich das schon lange auch auf Universitäten fort, in vielen Disziplinen auch in den ersten Berufsjahren und Einstiegs-Führungspositionen. Und dennoch: Nimmt man SDAX, MDAX und DAX zusammen, so waren 2019 gerade einmal knapp 10% der über 700 Vorstandsposten von Frauen besetzt. Gewiss nicht, weil branchenübergreifend in 90% der Fälle weder in Deutschland noch international eine qualifizierte Frau parat gestunden hätte. Das Argument ist wirklich zu peinlich, um es ernsthaft vorzubringen.
Am Ende bleibt, dass Diversität entgegen aller Vorwände – und davon bin ich persönlich fest überzeugt – ausschließlich eine Frage des Willens ist. Zugegeben, ein Unternehmen wird an der Spitze nicht automatisch und erst recht nicht über Nacht diverser und damit bunter. Wer aber jede Stellenbesetzung nutzt, um mit breitem Blick die im weitesten Sinne am besten geeignete Persönlichkeit zu finden, der kann die Veränderung aktiv gestalten, auch wenn es etwas Zeit bedarf.
Bei der Zusammensetzung eines neuen Teams sollte man nach meiner festen Überzeugung auf viele Dimensionen der Eignung achten. Neben der fachlichen Kompetenz im weiteren Sinne, ist natürlich meritokratisch die Leistung, welche die konkrete Person individuell erbracht hat und erbringt, bedeutend. Dies allein reicht jedoch nicht, um ein hoch performantes Team zu bilden – insbesondere dann nicht, wenn es um das erfolgreiche Gestalten von Veränderungsprozessen geht. Hierfür spielen auch Herkunft, Sozialisierung, Haltung, Prägung, Persönlichkeit und relevante Erfahrung im weitesten Sinne eine Rolle. Dabei ist dann auch das Geschlecht ein durchaus bedeutendes Mosaiksteinchen.
Als ich vor einigen Jahren meine aktuelle Rolle übernommen habe, da hat der Frauenanteil im Unternehmen über alle Führungsebenen in klassischer Pyramidenform bis in die Spitze abgenommen – die Geschäftsleitung war eine reine Männergruppe (mit mir an der neuen Spitze). Mittlerweile sind wir in der Apollo-Geschäftsleitung hinsichtlich der Geschlechter gleichverteilt besetzt. Schon beim nächsten Änderungsbedarf kann sich das Gleichgewicht allerdings wieder in die eine oder andere Richtung verschieben – aber auch damit kann ich gut leben, solange das Team über alle Dimensionen hinweg vielseitiger wird.
Denn klar ist auch: Wer bei „Vielfältigkeit“ ausschließlich an die Geschlechterverteilung denkt, springt natürlich zu kurz. Auch in einigen anderen Dimensionen der Diversität sind wir mittlerweile deutlich breiter aufgestellt – auch wenn wir hier sicherlich noch Potential haben. Es ist eben ein steter Prozess, bei dem es gilt, jede sich bietende Gelegenheit, egal ob gewollte oder ungewollte, zu nutzen, um den Status Quo in Frage zu stellen und nach Optimierung zu streben. Schlicht: Eine Frage des Willens. Aber das gilt ja für jede Veränderung. Insofern sollte es „eigentlich“ auch hinsichtlich der Diversität nichts Besonderes sein, oder?
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