Spricht man mit stationären Einzelhändlern über “das Internet”, so erlebt man seit Jahren immer wieder eine Mischung aus Wehmut (früher war alles besser) und Wehklagen. Mittlerweile hat sich zwar bei den Meisten die Erkenntnis durchgesetzt, dass es sich tatsächlich nicht nur um eine vorübergehende Modeerscheinung handelt. Ducken, Ignorieren und Aussitzen hilft also nicht. Über den richtigen Umgang mit den digitalen Möglichkeiten wird aber unverändert leidenschaftlich gestritten.
Oft reduziert im Handel die Diskussion sich auf die Frage “Online Handel, Ja oder Nein?”. Die Suche nach einem Königsweg ist insoweit vergebens: Es gibt keinen. Jede Branche und jedes Unternehmen hat bei allen Gemeinsamkeiten eigene Herausforderungen und eine eigene Entwicklung. Und: jedes stationäre Handelsunternehmen muss für sich selber die grundlegende strategische Entscheidung treffen, ob und gegebenenfalls wann es in welcher Form (auch) online Waren/Leistungen verkaufen möchte.
Wer als Händler nach dem richtigen Weg sucht, der ist gut beraten, nicht bei der Frage „Online-Handel: Ja oder Nein“ zu verharren. Denn damit kratzt man erst an der Oberfläche des Entscheidungs- und Handlungsbedarfs. In vielen Handelsbereichen recherchiert ein (Groß-)Teil der Kunden online, bevor (auch stationär) gekauft wird. Wer online nicht präsent ist, der riskiert, in der Kundenentscheidung nicht berücksichtigt zu werden. An einer Online-Präsenz dürfte also nur in den seltensten Fällen ein Weg vorbeigehen. Was man konkret online kommunizieren sollte und was dies erfordert, ist ein weites Feld – mehr hierzu ein andermal in einem eigenen Blogbeitrag.
Mindestens ebenso spannend ist die Frage, welche Veränderungen die Online-Welt bereits jetzt im Ladenlokal erfordert und in Zukunft immer zwingender erfordern wird. Damit meine ich nicht nur „Beratungsklau“, Umgang mit Bewertungen in Netzwerken oder die Konfrontation des Verkäufers mit Preisen von Online-Shops. All dies passiert, und mögliche Reaktionen wurden oft beschrieben.
Ob und was auch immer der einzelne Händler online kommuniziert, die wachsende Forderung der Kunden nach Transparenz ist Realität – stationär wie online. Hierbei geht es nicht “nur” um Einzelhandel. Es ist eine Grundeinstellung, die sich nicht nur in der Generation der digital natives immer mehr durchsetzt. Wer etwas weiß, der teilt es. Wer etwas wissen möchte, der bekommt eine Antwort. Herrschaftswissen ist out. Geheimnisse sind verdächtig und “leaken” ist sozial anerkannt. Dies ist das Fundament zahlreicher sozialer Medien, aus denen eben nicht nur Banales und Klickibunti entsteht. Kunden akzeptieren immer weniger, dass ein Handwerker, Dienstleister oder Einzelhändler intransparent ist – egal ob online oder im Ladenlokal!
Was das in der Praxis bedeutet, beschreibe ich gerne an einem Beispiel aus meinem neuen Umfeld. Wer jemals eine Brille gekauft hat, der weiß wovon ich spreche. Man sucht sich eine schicke Fassung aus (gar nicht so teuer) und dann beginnt am Verkaufstisch das mystische Optiker-Ritual. Kataloge werden gewälzt, es wird gerechnet und dann wird der Preis für die Brillengläser mitgeteilt. Träger von Gleitsichtbrillen kennen das sich hierbei einstellende Gefühl, das man in der Telekommunikation mit Bill-Schock bezeichnet: Schluck, so teuer? Dann die Nachfrage: was kostet es denn, wenn ich doch nicht das superdünne Glas nehme? Und das Ritual beginnt von neuem. Wer dies einmal erlebt hat, der freut sich beim nächsten Brillenkauf über einen transparenter agierenden Optiker.
Dieses Verkaufsmodell „Unklarheit und Nebelkerzen“ gehört der Vergangenheit an. Generelle Erwartungshaltung der selbstbewusster werdenden Kunden ist es, (auch) im Laden klar und einfach zu erkennen, welche Leistung sie für welchen Preis bekommen. Immer besser informierte Kunden akzeptieren immer weniger eine über die Maßen spannenorientierte Beratung. Sie sind zwar durchaus bereit, mehr als den „Werbe-Anlockpreis“ zu bezahlen und höherwertige Produkte zu kaufen. Dies gilt aber nur, wenn sie wirklich die Wahl haben und frei entscheiden können, für was sie wieviel (mehr) bezahlen. Grundlegend hierfür ist eine offene und ehrliche Information.
Transparenz und Ehrlichkeit sind nur für den schlecht, der seine Ware oder Leistung nur verkaufen kann, wenn der Kunde nicht weiß, dass er von einem anderen Marktteilnehmer etwas erhalten kann, das eher seinen Bedürfnissen entspricht. Das gilt online wie stationär. Die Zeiten, in denen Kunden nicht vergleichen konnten und dem „guten Rat“ bedingungslos vertrauten, sind vorbei.
Und was bedeutet das für Optiker? Sie werden es schon ahnen. Aus gutem Grund hängen bei Apollo-Optik in allen 800 Läden Poster, auf denen genau zu lesen ist, was die einzelnen Glaspakete kosten und welche Produkteigenschaften die Gläser haben. Zusammen mit dem klar ausgezeichneten Preis für die Fassung inklusive Basisgläser kann sich also jeder Kunde im Laden ein klares Bild davon machen, was seine Brille kosten wird und wie sich der Preis verändert, wenn Produkteigenschaften hinzugewählt werden. Für Mitarbeiter und Kunden war es zunächst ungewohnt. Aber dieses Neue, Ungewohnte ist bestimmt angenehmer als die spürbaren Negativreaktionen von Kunden, die mit einem niedrigen Werbepreis in den Laden gelockt werden und dann am Ende des „Beratungsprozesses“ mit einem unerwartet hohen Preis konfrontiert werden. Und, wie gesagt, all dies gilt sicher nicht nur für Optiker.
Wer als Einzelhändler, Handwerker oder Dienstleister Angst vor dieser Transparenz hat, der sollte seine Zukunftsfähigkeit (selbst-) kritisch einschätzen. Wenn das aktuelle Geschäftsmodell auf Herrschaftswissen und Intransparenz beruht, dann ist es in den allermeisten Branchen zumindest mittelfristig sicher nicht zukunftsfähig. Und wenn es denn schon so ist, dann ist es besser, die Lok zu fahren, als auf den letzten Wagen aufspringen zu wollen.
Also, liebe Handel- und Gewerbe-Treibende unter den Blog-Lesern: Achten Sie darauf, den Zug nicht zu verpassen.
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