Elektromobilität polarisiert. Die einen fanden sie schon immer doof. Oder Sie sind zumindest jetzt der Meinung, dass es ein Modethema war, das seinen Zenit überschritten hat. Andere sind davon überzeugt, dass Elektrofahrzeuge ein bedeutender Bestandteil unserer zukünftiger Mobilität sein werden. Beobachtet man die Debatte, so erkennt man unschwer eine sehr heterogene Motivation. Sie reicht von wirtschaftlichen Interessen bis zur Weltanschauung. Schlagen wir uns für einige Minuten einfach einmal emotionslos auf die Seite derjenigen, die Elektroautos sinnvoll finden: Wie kann Elektromobilität im Alltag funktionieren?
Solange Elektrofahrzeuge mit Batterien betrieben werden, muss man entweder entladene Batterien gegen volle austauschen (ökonomisch gescheitertes Betterplace-Konzept) oder die Batterien laden. Denkt man aus Sicht des Kunden, so ist klar, wie das Laden funktionieren sollte:
- ein flächendeckendes, engmaschiges Netz von Auflademöglichkeiten eines einzigen Systems;
- der Strom(anbieter) kann frei gewählt werden, ganz nach dem eigenen Geschmack reiner Solarstrom, der günstigste Anbieter oder lieber der lokale Versorger, der Arbeitsplätze in der Region schafft und die Lebensqualität vor Ort durch Sport- und Kultursponsoring fördert;
- die Nutzung ist einfach, man erhält monatlich nur eine Abrechnung – und die ist ebenso transparent wie der Tarif des gewählten Stromanbieters.
Und wie sieht die Realität aus? Da sich Elektrofahrzeuge kommunikativ besser als im Laden „verkaufen“, engagieren sich nicht nur Politiker, sondern insbesondere auch Energieversorgungsunternehmen trotz der derzeit geringen Fahrzeugzahl im Aufbau von Stromtankstellen. Freunde der Elektromobilität werden dieses Engagement begrüßen, auch wenn derzeit den recht hohen Kosten je Ladesäule kaum eine Nutzung, geschweige denn ein sich positiv rechnender Business-Case gegenübersteht.
Im Ergebnis existiert ein Flickenteppich von Ladestationen. Die Errichtung der Hightec-Ladesäulen ist teuer und die Nutzung aufgrund der geringen Fahrzeugzahl wirtschaftlich auf absehbare Zeit ein Zuschußgeschäft. Gegner und Befürworter der Elektromobilität führen den klassischen “Henne-Ei-Streit”: Müssen erst mehr Stromtankstellen gebaut werden oder erst mehr Elektroautos verkauft werden, damit sich (zusätzliche) Stromtankstellen rechnen? Die bestehenden Ladesäulen sind ebenso wie Abrechnung, Bedienung und Authentisierungsverfahren uneinheitlich. So wundert es denn auch wenig, dass man in Praxistests von Elektroautos immer wieder genau das liest: Es gibt zu wenig verfügbare Ladestationen und die Nutzung und Abrechnung ist zu kompliziert, wenn man nicht nur in einer Stadt unterwegs ist.
Diese Tatsache bestreitet kaum einer ernsthaft. Deshalb wird von vielen Stellen versucht, mit klassischen Methoden Verbesserungen herbeizuführen: Standardisierung zur Kostensenkung, eine Art Stromlade-Roaming und andere Bausteine. Es geht also um schrittweise Verbesserungen auf der Basis von Erfahrungswissen und erlernten Handlungsschemata – ohne generellen Systembruch.
Wie es auch gehen könnte, zeigen die Gründer des Berliner Startup-Unternehmens ubitricity. Sie wollen das bestehende System nicht schrittweise verbessern, sondern es durch ein aus ihrer Sicht besseres System mit neuen „Spielregeln“ ersetzen. Technologisch kehrt ubitricity das Prinzip um, indem die Intelligenz der Ladestation in das Ladekabel des Nutzers verlagert wird. Hier werden die Entnahmedaten erfasst und via M2M-Kommunikation an eine zentrale Clearingstelle übermittelt. Ein disruptiver Ansatz mit weitreichenden Folgen.
Zum einen sind in diesem Modell die technischen Anforderungen an die Ladesteckdose deutlich geringer. Hierdurch verringern sich die Kosten von mehreren tausend auf unter 500 Euro pro Ladestelle. Dies kann eine erhebliche Dynamik in den Ausbau der Lademöglichkeiten bringen. Der “Henne-Ei-Streit” ließe sich so auflösen; die Industrie und Politik wäre unter Zugzwang, für mehr Elektrofahrzeuge zu sorgen. In Berlin läuft gerade ein Feldversuch mit derartigen Ladesteckdosen, die in zahlreiche einfache Straßenlaternen eingebaut sind.
Durch die Verlagerung der Bedienkomponente in das Ladekabel gibt es für den Kunden nur ein einziges System, das er kennen und „bedienen“ muss. Darüber hinaus kann der Kunde über die zentrale Clearingstelle wirtschaftlich den Strom unabhängig von der Entnahmestelle komplett bei einem Anbieter seiner Wahl beziehen. In der Folge können Stromanbieter ohne hohe Investitionen deutschlandweit Strom für Elektroautos verkaufen.
Setzt sich das ubitricity-System durch, dürfte dies nicht allen Marktteilnehmern gefallen. Wer bisher die Perspektive hatte, durch eigene Ladestationen in seinem Vertriebsgebiet den Markt wettbewerbsarm bedienen zu können, der wird möglicherweise eine böse Überraschung erleben. Auch diejenigen in Politik und Wirtschaft, die unter Hinweis auf fehlende Ladestationen über Elektromobilität vorwiegend reden und wenig handeln, müßten ihre Komfortzone verlassen. Und mit ein wenig Phantasie bietet das Modell des mobilen persönlichen Stromzählers auch eine Reihe anderer Möglichkeiten, die wiederrum nicht jedem gefallen werden…
Es kann also einiges ins Rollen geraten. Es wird spannend sein, zu beobachten, ob sich dieser komplett andere Ansatz von ubitricity durchsetzen wird. Klar ist, dass es ein dickes Brett ist, das hier gebohrt wird. Es sind zahllose Verträge mit Netzbetreibern, Stromanbietern und unterschiedlichen (neuen) Ladestationsbetreibern zu schließen. Außerdem müssen die Nutzer für das System gewonnen werden – was manchmal trotz guter Argumente nicht einfach ist. Und schließlich müssen, um zum Ausgangspunkt zurückzukehren, diejenigen Recht behalten, die Elektroautos für ein Mobilitätskonzept halten, das sich durchsetzt.
Also, eine Vielzahl von Fragezeichen, aber in jedem Fall ein disruptiver Ansatz, den man nicht nur als Politiker, Energieversorgungsunternehmen oder Autohersteller beobachten sollte.