In der Kommunikation der modernen Medienwelt gibt es immer weniger Zwischentöne. Entweder ist jemand heilig oder verabscheuenswert. Das gilt natürlich am Stärksten in der Politik, wie nicht nur die Beispiele „zu Guttenberg“ und „Wulff“ zeigen. Gestern gefeierte Helden, heute Deppen der Nation. Gewiss, die genannten Politiker haben Fehler gemacht. Aber so wenig richtig wie die vorherige Erhebung in den Heilsbringerstand war, so wenig angemessen war die spätere Art der medialen Hinrichtung und allgemeinen Häme. Liegt es etwa in der Natur der Deutschen, dass sie sich einerseits gerne am Makellosen orientieren, es aber andererseits nicht ertragen können und gerne darüber herfallen, sobald sich die Gelegenheit bietet? Wie schön, wenn Heilige nicht perfekt sind, dann bin ich mit meinen Fehlern gar nicht so schlecht?
Nun also der ADAC. Wie die Geier fallen sie von allen Seiten über die bisherigen (gelben) Engel her. Was ist rein sachlich betrachtet nach dem bisherigen Kenntnisstand passiert? Ein leitender Mitarbeiter hat die Teilnehmerzahlen einer Leserwahl wiederholt erheblich nach oben geschönt (nach derzeitiger Kenntnis aber nicht das Ergebnis manipuliert). Der ADAC hat sich von dem Mitarbeiter getrennt, um Entschuldigung gebeten und eine Untersuchung eingeleitet, an der auch Externe mitwirken werden.
Ein sicherlich ärgerlicher Vorgang, egal ob weitere Führungskräfte involviert waren oder ob „nur“ geeignete Prozesse zur Überwachung und Kontrolle fehlten. Auch andere Adjektive können einem berechtigterweise neben „ärgerlich“ in den Kopf kommen, beispielsweise peinlich oder unprofessionell. Aber wie wäre es für alles Weitere, wenn man jetzt erst einmal abwartete, bis feststeht, was wirklich passiert ist? In der Zwischenzeit ginge das Abendland schon nicht unter…
Freilich wäre dies recht nüchtern und kopfgesteuert. Emotional vorgetragene Verdächtigungen und schlechte Geschichten lassen sich hingegen gut verkaufen. In der allgemeinen Sensationslust und Skandalgier (… da muss doch noch mehr sein!) machen manche jetzt Schlagzeilen mit der Aussage, dass sie die Gefahr sehen, andere Umfragen könnten ebenfalls manipuliert worden sein. Von den Umfragen ist es nur ein kleiner Schritt zur suggestiv geäußerten Sorge, auch Tests, wie beispielsweise der Kindersitz-Test oder der Tunnel-Test, könnten manipuliert worden sein.
Zur besseren Einordnung: ein Blick auf die Webseite des ADAC verrät, dass es in den letzten Jahren wahrscheinlich eine dreistellige Testzahl gegeben hat. Diese hatten überwiegend transparente Bewertungskriterien und –maßstäbe. Die Durchführung erfolgte teilweise durch oder gemeinsam mit qualitätskontrollierten Dritten – offenkundig etwas völlig anderes als die Leserabstimmung einer Mitgliederzeitung. Der genannte Kindersitz-Test sowie der Tunnel-Test sind zumindest für mich als Laien alles andere als intransparent. Hier gibt es wie bei den meisten Tests jeweils eine Rubrik „Methodik und Hintergrund“ mit detaillierten Informationen.
Und trotzdem, auch die nächste Misstrauensstufe ist schnell gezündet. Wegen dieses einen Vorgangs wird eine „Vertrauenskrise“ und ein „sehr schwerer Imageschaden“ herbeigeschrieben. Weil einer (oder vielleicht am Ende einige Wenige) die Teilnehmerzahlen der Leserwahl manipuliert haben, werden tausende Mitarbeiter unter Generalverdacht gestellt. Damit nicht genug: die Kompetenz des Managements wird in der Breite unsubstantiiert angezweifelt und eine generelle Strukturreform des ADAC gefordert. Andere verlangen gar die “Zerschlagung”.
Ich maße mir kein Urteil darüber an, ob, gegebenenfalls in welche Richtung und wie weitgehend die Struktur des ADAC wirklich reformbedürftig ist. Für solche Entscheidungen hat ein Verein seine Mitglieder. Wem die Mitgestaltungsmöglichkeiten und die Transparenz nicht ausreichen, der kann versuchen, eine Änderung der Satzung herbeizuführen, eine andere Vereinsführung einzusetzen oder kann dem Club fernbleiben. Es wird ja keiner gezwungen, ADAC-Mitglied zu werden, sodass sich nun die Öffentlichkeit oder gar der Staat um die Vereinsstruktur kümmern müssten. Bisher scheint der Drang nach Veränderung bei den rund 19 Millionen Mitgliedern jedenfalls nicht besonders groß gewesen zu sein.
Ob das heftig gescholtene Management das Optimum herausholt, kann ich nicht beurteilen. Wahrscheinlich ist es auch bereits sehr schwer, in einem derart vielschichtigen Gebilde zu bestimmen, was das Optimum wäre. Die ökonomische Entwicklung des Vereins scheint ja hervorragend zu sein. Und über Pannendienst und Services sowie sonstige Leistungen las man bisher kaum Negatives. Im Gegenteil, in den meisten Bereichen hatte der ADAC nach allem was man weiß Zufriedenheitswerte, über die sich jedes Markenunternehmen zu Recht freuen würde. Auch die umfangreichen Tests sind offenkundig im Sinne der Mitglieder und aller Autofahrer. Auf den ersten Blick spricht all dies sicher nicht dafür, dass die aktuelle Pauschalkritik am Management berechtigt ist – eher für das Gegenteil.
Aber wenn es schon brennt, dann gießt manch einer auch gerne Öl ins Feuer und nutzt die günstige Gelegenheit, alte Rechnungen auszugleichen oder versucht, Korrekturen im Machtgefüge herbeizuführen. Bei soviel Skandalmache und Populismus darf natürlich auch die Politik nicht fehlen. Ein gestandener Ministerpräsident zeigt sich über die Manipulation der Leserwahl „nicht überrascht“, der Verkehrsminister fordert vom ADAC mehr Bescheidenheit und hebt den Zeigefinger „Mehr um den einzelnen Autofahrer kümmern, weniger Show und Glitzer – der ADAC ist doch nicht Hollywood!“.
Sicher gibt es auch beim ADAC – wie überall – Gründe, Kritik zu äußern und über Änderungsbedarf zu diskutieren. Dazu wäre in den vergangenen Jahren Zeit gewesen. Da war aber kaum jemand zu hören – sicher auch, weil der ADAC überhöht auf dem Podest stand, gelber Engel eben. Bemerkenswert ist, dass die Meute sich dazu erst traut, wenn der Koloss gestolpert ist, hingestoßen wurde und scheinbar verletzlich am Boden liegt. Ich habe deutlich mehr Respekt vor denjenigen, die zu einem Zeitpunkt sportlich für ihre Ziele eintreten, wenn der andere nicht am Boden liegt. Also, etwas mehr Sachlichkeit, Gelassenheit und Fairnis wäre sicher kein Fehler.
P.S. Wer das Thema mit Humor nehmen möchte, dem empfehle ich den Beitrag des Postillion zu diesem Thema: “ADAC in Wahrheit einzelner Mechaniker mit gelbem VW Käfer und verdammt guter PR-Abteilung“
Ganz Ihrer Meinung. Danke für die deutlichen Worte. Leider ein grundsätzliches Problem unserer Geselschaft. Wir wissen ja auch erst seit dem 02.01.2014 das Rumänen und Bulgaren jetzt überall arbeiten dürfen 😉 und verbreiten hier auch mal Panik.
Lieber Herr Dr. Ehmer, dieser Beitrag trifft den Nagel genau auf den Kopf. Das mediale Schwarz-Weiß akzeptiert auch nach meinem Eindruck nur noch den Superstar oder den Ober-Looser. Die vermeintlich spannensten (und verkaufsfähigsten) Geschichten sind in den Augen ihrer Macher schließlich die, bei denen die strahlende Helden oder die miesesten Gestalten(in dieser Reihenfolge) zeitversetzt identisch sind. Der Normalfall, bei dem Stärken und Schwächen bei allen Menschen und Organisationen gleichzeitig nun mal vorhanden sind, wird schlicht ausgeblendet (getrieben von der Angst, mediale Ladenhüter zu produzieren). Auch ich habe schon längst keine Lust mehr auf Medien, die die Welt in Götter und Verbrecher einteilt. Leider werden es immer mehr. Zwischenrufe wie der Ihre sind da wohltuend und müssen verbreitet werden. DER MITTELSTANDSVERBUND wird – Ihre Freundliche Erlaubnis voraussetzend, diesen Artikel über seine Kommunikationskanäle weiter verbreiten. Bleiben Sie bitte so erfrischend kritisch!
Ludwig Veltmann
Lieber Herr Dr. Veltmann, herzlichen Dank für die Bekräftigung. Es freut mich, dass auch Sie sich für mehr Augenmaß,Sachlichkeit und Anstand stark machen – wer Sie und Ihren Einsatz für den Mittelstandsverbund beobachtet, kennt dies auch in der Praxis aus Ihrer täglichen Arbeit.
Mit besten Grüßen,
Ihr Jörg Ehmer
Sehr geehrter Verfasser,
bereits vor mehr als 25 Jahren erschien im Stern ein Artikel “Die gelben Geier”, der Missstände beim ADAC anprangerte. Ich beschloss damals, nicht ADAC-Mitglied zu werden. Offenbar eine richtige Entscheidung. Soweit ich mich erinnern kann, ging es um ähnliche Probleme wie heute. Wesentlich geändert hat sich beim ADAC also seit damals nichts
U. Schaper