Wieder einmal zeigte sich in den vergangenen Wochen, dass es kaum eine bessere Möglichkeit gibt, die Vielschichtigkeit der deutschen Sprache zu studieren, als ein Messebesuch. Reichtum und sprachliche Armut konkurrieren in unmittelbarer räumlicher Nähe, und Sprachschaffende sind sich vermutlich sicher: Ich habe es perfekt auf den Punkt gebracht, besser kann man die Kernbotschaft nicht transportieren.
Während es mir die professionelle Höflichkeit gebietet, großzügig über die eine oder andere Werbebotschaft auf den Messeständen der ElectronicPartner Jahresveranstaltung hinwegzusehen, gilt dies nicht für verbale Ergüsse, die in großen Lettern auf den Messeständen der CeBIT zu bestaunen waren. Was halten Sie zum Beispiel hiervon:
„Ideen mit Perspektive“
Das hat es doch in sich. Spüren Sie die Kraft? Da hat jemand eine Idee, und die hat auch noch eine Perspektive (oder bringt sie eine?). „Perspektive“ kann man ja etymologisch mit „Hindurchsehen“ übersetzen, gemeint ist hier aber wahrscheinlich weniger Durchsicht als eher etwas im Sinne von „Zukunftsaussicht“. Und das ist ja nicht schlecht, wenn eine Idee Zukunftsaussicht hat. Aber was hat denn genau Zukunftsaussicht, worum geht es auf diesem einen von mehreren hundert Messeständen, die um meine Aufmerksamkeit buhlen? Wirklich weiter bringt diese Phrase einen Messebesucher nicht – worum geht es wohl, fragt man sich flüchtig und eilt sodann am Stand vorbei. Schade, Chance vertan.
Deutlich weniger geschmeidig elegant, dafür aber ungleich präziser und konkreter ist das Institut für Technische und Betriebliche Informationssysteme der Universität Magdeburg: „Technologien zur intelligenten, kontextsensitiven Organisation heterogener Informationsbestände“. Hier weiß jeder aus der relevanten Zielgruppe, worum es geht. Und diejenigen, die nicht zur Zielgruppe gehören, klauen dem Standpersonal auch nicht die wertvolle Zeit, sondern grübeln im Weitergehen darüber „Was wollte mir der Dichter damit sagen? Aber klug sind die schon, vielleicht sollte ich die Uni meinem Kind/Neffen/Enkel empfehlen…“ (Sekundärziel erreicht)
Doch diese prägnante Beschreibung ist nicht alles, was die Universität Magdeburg zu bieten hat. Den visuell veranlagten Flowchart-Fans wird der Inhalt zusätzlich veranschaulicht (siehe Bild) – die Nicht-Zielgruppe wird hierdurch noch intensiver abgeschreckt. Und um noch ein Aufmerksamkeits-Ausrufungszeichen hinzuzufügen, wird ein dreifacher sprachlicher Regelbruch begangen, der aber irgendwie modern aussieht. Beworben wird nämlich der „re:Search Lösungsansatz“ (man achte auf das kleine „r“ am Anfang und die Abtrennung der Binnenmajuskel durch einen „:“!). Spätestens hier klinkt sich der mittelmäßig begabte sprachliche Bodenturner aus und überlässt das Feld den Profis, die aus diesem heterogenen Sprachbestand mit der notwendigen Intelligenz die richtigen Schlüsse ziehen.
Manchmal erkennt man auch klar den Widerstreit und spürt geradezu die Auseinandersetzung, die es intern bei der Definition der Messe-Botschaft gegeben hat. Das beste Beispiel hierfür liefert die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur der Universität Leipzig. Der Eye-Catcher war gut gewählt: zwei Roboter auf einem kleinen Stück Kunstrasen, einer im Tor, der andere im Feld und dazwischen ein roter Ball. Die Überschrift war recht gefällig gewählt: „Doppelpass und Tor“. Wahrscheinlich lag hier die Federführung im Fachbereich Marketing des Wirtschaftsteils der Hochschule. Aber die Subline zeigte erst wirklich, worum es ging. Und da hat sich offenkundig der Technik-Zweig der Hochschule durchgesetzt: „Autonome Interaktion humanoider Roboter“. Damit ist alles gesagt. Die Robos kicken nicht planlos, sie interagieren. Und unter einem actiongeladenen Bild werden auch alle potentiellen Zweifel bei Seite gewischt: „Humanoider Roboterfußball als Benchmark“ – herzliche Grüße an alle unterhalb der Relegationsplätze in den diversen Ligen.
Wie viel ausdrucksschwächer ist es sprachlich doch, wenn jemand auf seinen Stand groß schreibt „Vorsprung schaffen, Zukunft sichern“! Das ist beliebig und austauschbar. Wahrscheinlich könnte das jeder zweite über seinen CeBIT-Messestand schreiben, ohne dass jemand auf dem Stand Widerspruch erheben würde: „klar schafft unsere Lösung dem Anwender einen Vorsprung und sichert seine Zukunft…“.
Also, wenn Sie Vergnügen an den feinen Unterschieden der deutschen Sprache haben, achten Sie einmal darauf, wenn Sie die nächste Messe besuchen – es lohnt sich.
Danke für die Mühe, die Sie gemacht haben, um das alles zusammenzutragen.
MfG Nevresim
Unglaublich zu sehen, welche Feinheiten auf einer Messe den Unterschied machen. In einen Messestand muss sehr viel Arbeit gesteckt werden, damit das Interesse der Besucher:innen geweckt wird und auch noch die passende Zielgruppe angesprochen wird.